Lernen am Arbeitsplatz

Die Arbeitswelt befindet sich in einem epochalen Wandel. Weiterbildung wird existenziell. Wie organisiert man diese? Bei Audi in Neckarsulm setzen sie auf arbeitsprozessorientierte Fortbildung.

1. Juli 20201. 7. 2020
Jan Chaberny


Uwe Schwab ist 60 Jahre alt. Seit 1987 arbeitet er bei Audi in Neckarsulm in der betrieblichen Weiterbildung. Er hat Qualifizierungskonzepte für junge Menschen verfasst, er engagiert sich seit vielen Jahren als Sachverständiger für die IG Metall in Neuordnungsverfahren für Bundesrechtverordnungen zur Fortbildung. Er war von Anfang an der Meinung, dass betriebliche Weiterbildung extrem wichtig ist. Seit ein paar Jahren aber, das merkt er hautnah, das merken die Beschäftigten hautnah, ist ihm klar geworden: Betriebliche Qualifizierung ist nicht nur extrem wichtig, sie ist existentiell.

Qualifizierungsberater Schwab macht es konkret: „Wer vor ein paar Jahren seine Ausbildung als Kfz-Mechatroniker absolviert hat, dessen Tätigkeiten haben sich heute teilweise fundamental gewandelt. Darauf müssen wir uns einstellen.“

Das hat Uwe Schwab mit seinem Team getan und zusammen mit dem Arbeitgeber ein Qualifizierungskonzept erarbeitet, das einerseits individuelle Lernprozessbegleitung ermöglicht. Und andererseits Be­schäftigte strukturiert und systematisch in einer Kombination von Seminarmodulen und Lernphasen am Arbeitsplatz zu Fachexperten qualifiziert.

Und so funktioniert es: „Wir wollen das Lernen im Prozess der Arbeit möglich machen, weil die Beschäftigten davon in hohem Maße profitieren.“ Erst wenn das theoretisch Gelernte praktisch im konkreten Arbeitsumfeld eingesetzt wird, verfestigt, vertieft, erweitert es sich. Erst dann wird es praktisch erfahrbar, anwendbar. „Es geht nicht darum, sich mit Wissen vollzuschütten“, sagt Uwe Schwab. „Unsere Kollegen sollen vor allem in der Lage sein, komplexe Problemstellungen zu identifizieren, zu analysieren und zu lösen. Dazu werden sie qualifiziert.“ Am Ende verfügen die Beschäftigten über Fach- und Erfahrungswissen. „Sie optimieren Prozesse, sie qualifizieren sich entlang der Technologieentwicklung.“


Passgenaue Qualifikation dank Kompetenzanalyse

Damit das gelingt, ist frühzeitige Qualifizierung notwendig. Vor allem das Wissen darüber, was ein Beschäftigter kann und wo es individuellen Qualifizierungsbedarf gibt. Wohin die Fortbildung überhaupt führen soll und was der Beschäftigte braucht, um sein Ziel zu erreichen. „Es ist wichtig, sich über all diese Punkte vorab völlig im Klaren zu sein“, sagt Uwe Schwab. „Nur wenn man die Situation exakt analysiert hat, kann man passende Schlussfolgerungen aus ihr ziehen, einen Plan entwickeln.“

Am Anfang jeder Qualifizierung erarbeiten Schwab und sein Team deshalb im Gespräch mit den Beschäftigten eine Mindmap: Sie zeichnen auf, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mitarbeiter mitbringt, was für Tätigkeiten die Kolleginnen und Kollegen an ihren Arbeitsplätzen ausführen, aber auch, welche Qualifikationen im Privaten erworben wurden und bislang ungenutzt sind. „Wir ermitteln den aktuellen Kompetenzstand des Beschäftigten. Dann skizzieren wir, welche neuen Anforderungen auf den Mitarbeiter zukommen und welche Kompetenzen zukünftig ge­fragt sein werden. Wenn wir diese beiden Folien übereinanderlegen, können wir da­raus Qualifizierungsinhalte und Lernziele ableiten.“


Die Idee: Aus Theorie wird ganz schnell Praxis

Wichtig ist: Die Beschäftigten machen sich nicht allein auf ihren Qualifizierungsweg. Denn die gesamte Zeit über, meist für 6 bis 24 Monate, begleitet sie ein Experte. „Wir haben ein Patensystem aufgebaut, mit dem wir die betriebliche Weiterbildung der Kolleginnen und Kollegen unterstützen.“ Jedem Beschäftigten, der sich in einer Qualifizierung befindet, ist ein Qualifizierungsberater zur Seite gestellt. Er ist Ansprechpartner, gibt Hilfestellungen, hat ein Auge auf die Lernphasen. Dazu gibt es Technologieverantwortliche, die für die fachlichen Expertisen verantwortlich sind.

Diese aber, das ist der zweite Punkt, fußen auf einer Kombination aus theoretischen Lerneinheiten, die etwa Seminare vermitteln, und anschließenden Einheiten, in denen die Beschäftigten das Gelernte am Arbeitsplatz anwenden und erweitern. „Wir setzen auf eine arbeitsprozessorientierte Fortbildung“, sagt Schwab. Qualifizierungsprozesse und Lernformate werden bei Audi in Neckarsulm eng mit den neuen Arbeitsprozessen gekoppelt. Lernen findet im unmittelbaren Arbeitsprozess statt.

Natürlich dürfe bitte keiner auf die Idee kommen, dass formale Ausbildungsstrukturen im Zeitalter des großen Wandels, der heftigen Umbrüche, der rasanten Veränderungen, weniger wert seien als vor ein paar Jahren. Und es stimme auch nicht, dass die Berufsschulen Ausbildungskonzepte und -inhalte nicht anpassten. Die Metall- und Elektroberufe zum Beispiel wurden grundlegend modernisiert, rundum fit gemacht für die digitale Arbeitswelt. „Das alles ist richtig“, sagt Uwe Schwab. „Aber richtig ist eben auch, dass berufliche Qualifizierung und umfassende Weiterbildung enorm an Bedeutung gewonnen haben.“

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